“In dubio pro reo”, im Zweifel für den Angeklagten; trotz dieser Prozessmaxime kommt es teilweise vor, dass Angeklagte verurteilt werden, obwohl sie tatsächlich unschuldig sind. Die Erfolgsquote eines Wiederaufnahmeverfahrens ist zwar sehr gering, jedoch sollte auch jede noch so geringe Erfolgsquote bei den Personen, welche von Fehlurteilen betroffen sind Hoffnungen wecken.
Hintergrund der Wiederaufnahme eines Verfahrens ist die Vermeidung bzw. Korrektur eines “Justizirrtums”. Das Wiederaufnahmeverfahren entspricht dem Gedanken einer fairen Behandlung des Verurteilten durch nachträgliche Rehabilitation und Entschädigung. Demnach wird nach dem rechtstaatlichen Verständnis der Gerechtigkeit dem Angeklagten ein „neues“ Verfahren eingeräumt, wenn die von der StPO vorgeschriebenen sehr engen Voraussetzungen vorliegen.
Zugunsten des Verurteilten kann ein Strafverfahren gem. § 359 StPO nur wiederaufgenommen werden, wenn einer der folgenden Gründe vorliegt:
- wenn eine unechte/verfälschte Urkunde zuungunsten des Verurteilten als echt bewertet wurde;
- wenn ein Zeuge zuungunsten des Verurteilten eine falsche Aussage gemacht hat. Bei uneidlichen Falschaussagen muss zudem Vorsatz vorliegen, bei Vereidigung genügt hingegen Fahrlässigkeit;
- wenn ein beteiligter Richter oder Schöffe (nachweisbar) eine Amtspflichtverletzung begangen hat, die strafbar war und im Bezug zum Verfahren stand;
- wenn ein zivilgerichtliches Urteil, auf welches das Strafurteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist
- wenn neue Tatsachen oder Beweise einen Freispruch oder eine Milderung bewirken könnten;
- wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
Der in der Praxis relevanteste Fall ist die Beibringung neuer Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet sind, ein für den Angeklagten milderes Urteil zu begründen. Unter Tatsachen versteht man konkrete Vorgänge der Vergangenheit oder Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. Neue Tatsachen sind solche, die das Gericht in der Hauptverhandlung nicht berücksichtigt hat, wobei es keine Rolle spielt, ob die Möglichkeit dazu bestanden hat.
Der Antrag auf Wiederaufnahme kann schriftlich durch einen Verteidiger oder einen Rechtsanwalt oder auch durch den Verurteilten selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle des Gerichts, dessen Urteil angefochten wird oder das für die Wiederaufnahme zuständig ist, angebracht werden. Ein Antragsrecht haben auch die Staatsanwaltschaft, Privat- und Nebenkläger sowie der Einziehungsbeteiligte. Der Antrag auf Wiederaufnahme muss den gesetzlichen Grund für die Wiederaufnahme sowie die Beweismittel nennen. Dies prüft das zuständige Gericht sodann im sogenannten Additionsverfahren. Bei Unzulässigkeit des Antrags wird die Wiederaufnahme verworfen. Andernfalls ergeht ein Zulassungsbeschluss. Im anschließenden sogenannten Probationsverfahren wird die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags geprüft.
Der Antrag auf Wiederaufnahme wird ohne mündliche Verhandlung als unbegründet verworfen, wenn die darin aufgestellten Behauptungen keine genügende Bestätigung gefunden haben. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Antrag begründet ist, so ordnet es durch den Wiederaufnahmebeschluss die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der Hauptverhandlung an. In der Regel folgt nun eine neue Hauptverhandlung vor dem zuständigen Wiederaufnahmegericht. Das Gericht kann jedoch auch ohne neue Hauptverhandlung den Verurteilten mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft sofort freisprechen, wenn dazu genügende Beweise vorliegen. Andernfalls wird der Fall neu aufgerollt. Das Gericht darf jedoch das Urteil in Art und Höhe nicht zum Nachteil des Verurteilten verändern, wenn die Wiederaufnahme zu seinen Gunsten beantragt worden ist, es gilt auch hier das sogenannte Verschlechterungsverbot.
Die Strafverteidigung im Wiederaufnahmeverfahren gehört zusammen mit der Revision wohl unbestritten zur “Königsdisziplin” des Strafrechts und ist in der Regel mit erheblichen Aufwand verbunden. Auf der anderen Seite geht der Verurteilte mit einem Wiederaufnahmeverfahren kein Risiko ein, da das bereits rechtskräftige Urteil letztlich nur besser werden kann.
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